Stehsatz

Wer sprayed noch nicht, wer will noch mal. 
Eine Kultur voller bunt gemischten Straßenkünstlern zieht nicht nur Zuschauer in ihren Bann, sondern inspiriert Menschen jeglichen Alters ihre farbenfrohen Ideen an die Wand zu sprühen.

Es ist Mai und abgesehen von den entspannenden langen Wochenenden die wir drei Mal hintereinander genießen dürfen, spielt das Wetter auch mit. Man könnte fast meinen wir hätten den Frühling ganz übersprungen. An solchen sonnenüberflutenden Tagen findet man die Münchener Gesellschaft in den grünen Landschaften, in den überfüllten Straßen und mit Aperol und Bier in den Bier- und Schanigärten die die Stadt zu bieten hat. Für diejenigen die die Menschenmassen eher meiden wollen, hat Minna auch viel zu bieten: Seit 21ten April ist der Bahnsteig des Bahnwärter Thiels am Schlachthof wieder geöffnet und garantiert für zahlreiche Veranstaltungen der Sonderklasse. Auch am Christi Himmelfahrt Wochenende wurde für »freshe« Unterhaltung gesorgt. Zwei Tage lang konnten sich Graffiti-affine Menschen von talentierten Straßenkünstlern inspirieren lassen. Es wurde ganztägig gesprayed, getrunken und abends miteinander gegrillt. Ob Jung oder Alt, jeder konnte sein Talent auf den Wänden der Kulturcontainer unter Beweis stellen. Aber auch als Zuschauer war für Unterhaltung gesorgt. Mit toller musikalischen Untermalung konnten Schaulustige entspannt an kühlen Sommergetränken schlürfen und kleinen Kindern zusehen wie sie ihre künstlerischen Qualitäten nicht nur an den Mauern, sondern auch an sich selbst (höchstwahrscheinlich nicht absichtlich) testeten. Das Schlachthof Graffiti Jam war ein farbenfroher Erfolg und zeigte wieder einmal das auch dieses Jahr der Bahnsteig des Bahnwärter Thiels ein Muss für jeden ist der eine Alternative zum herkömmlichen Münchner Leben sucht.

 Fotos: Janina Engel
Kalligrafie 2. Semester
Stephanie Dehler

Die Kalligrafiearbeit pendelt zwischen traditioneller Schriftzeichnung und Graffitokunst. Sie ist geprägt vom Gegensatz zwischen runden und eckigen Formen, zwischen der Haptik des bearbeiteten und des unbearbeiteten Papiers sowie durch die unterschiedlichen Grauabstufungen.

Das zitierte Sinnspruch »Man erkennt den Autor vielleicht besser aus der Schrift als aus dem Leben« beschreibt im Bezug auf Typographie exakt das, was in der Graffiti-Szene wohl bekannt und grundlegend für das Selbstverständnis eines jeden Sprayers ist. Die Zeichnung demgegenüber orientiert sich an den Konventionen der Schriftgestaltung.

Sütterlin – eine fast vergessene Schrift

Durch Zufall bin ich auf die alte Sütterlin-Schrift gestoßen, die 1911 im Auftrag des preußischen Kultur- und Schulministeriums von Ludwig Sütterlin entwickelt wurde. Damals existierten viele verschiedene Schriften. Um eine leichtere Handhabung für die Schulkinder zu gewährleisten, hatte Sütterlin die Ober - und Unterlängen der Buchstaben verkürzt. Die Schrift, die 1915 in Preußen eingeführt wurde, löste die damals übliche deutsche Kurrentschrift ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand die Schrift. Gründe dafür mögen in der zunehmenden Mechanisierung sowie dem »Erlass von Bormann« (1941) liegen, zudem wurde verstärkt die lateinische Schrift an den Schulen gelehrt. [Dr. Dr. Peter Hohn: Sütterlinstube Hamburg e.V, Zugriff am  29.06.2013 unter http://www.suetterlinstube-hamburg.de/alpha.php]

Meine Versuche: Graffiti, Papmaschee und Collage

Weil die einzelnen Buchstaben für mich interessante Formen haben, die im Zusammenhang wieder ganz anders wirken, begann ich mir die Schrift – die heute von fast niemandem mehr gelesen werden kann – anzueignen. Im Wechselzug geschrieben mit Strichstärkenunterschieden wirkte es für mich am eindrucksvollsten. Mein erster Versuch, die Schrift in unserem Zeitalter von Tags und Graffiti ankommen zu lassen, scheiterte kläglich an der Folie, weil die Farbe unter ihr auf dem Brett total zusammenlief und kein einziger Buchstabe mehr zu erkennen war. Also musste eine festere Schablone her.

Allerdings reichte mir das noch nicht aus, ich hoffte durch andere Techniken, aus der Schrift noch mehr Wirkung herauszukitzeln. Dadurch entstanden die weisse Pappmascheetafel, mit dem Wort »Unendlichkeit«, die durch die Licht- und Schattenflächen spannend wirkt und das zweite Brett mit den aufgeklebten Wortfetzen.

Schlussendlich stellte ich fest, dass das, was den Reiz der Schrift ausmacht, die Persönlichkeit ist, die jeder durch den eigenen Duktus in sie hineinlegen kann.